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Göttingen, das ist international gesehen wohl keine Stadt, die einen großen Ruf genießt. Und doch zieht diese Stadt Studenten aus aller Welt an. Einst auch mich, als ich jung war und wie versessen “Irgendwas mit Medien” machen wollte und dann das Theater kennengelernt und lieben gelernt habe. Göttingen hat mich ein wenig geformt und mich zu der Frau auf den Dinnerpartys gemacht, die alles Mögliche Rezitieren kann, weil ich in meiner Studienzeit dort 1000 Seiten Minimum die Woche gelesen habe. Deutsche Philologie dort wird eben sehr ernst genommen und auch die Juristen, mit denen ich mehrere Jahre im Studentenwohnheim direkt auf dem Campus gelebt habe.
Die Stadt im Herzen Deutschlands lockt so einige und so ist man Schulter an Schulter mit manchem Bayer, Hamburger oder Rheinländer, geht zusammen mit Leuten aus aller Welt in eine der verschiedenen Mensas. Der Göttinger Campus ist nicht hübsch, aber voller Leben und Geschichten. Jedes der Gebäude hat ihre kleinen Geheimnisse, jede Straße in Göttingen ihre Geheimtipps. Und leider kann ich euch nur einen Bruchteil davon vorstellen…
DIE SCHÖNSTEN ECKEN
Der Alte Botanische Garten ist früher bei schönen Wetter meine Oase der Ruhe gewesen. Direkt und in zentral am Anfang der Innenstadt schützen die hohen Mauern vor dem Straßenlärm und bieten Zeit, um den Fröschen im Teich zu lauschen. Sollte das Wetter nicht gut sein, gibt es auch wundervolle historische Gewächshäuser wie das Farnhaus, in dem man in tiefes Grün zu jeder Jahreszeit tauchen kann. Auch das kleine, aber feine Café Botanik lädt bei jedem Wetter innen und außen zu einem leckeren Chai ein.
Auch der Wall lädt zu einem schönen Spaziergang um das Herz von Göttingen ein. Hier kann man an einer Wassermühle vorbeischlendern und die schönen Fachwerkhäuser aus einem ganz anderen Blickwinkel erleben. Beim Rundgang um den alten Stadtwall kommt man auch am Bismarkhäuschen vorbei, dem letzten erhalten gebliebenen Teil des mittelalterlichen Befestigungsrings.
Die Schillerwiesen sind ein beliebtes Ausflugsziel an warmen Tagen, wo man vielerlei Picknicks findet und auch oft Events stattfinden.
Wer nun nicht ausgelastet ist damit, einmal um den Stadtwall zu laufen, dem empfehle ich einen Gang vom Bahnhof aus hin zum Bismarkturm. Wo man schon beim Bahnhof ist, kann man den obskuren Fahrradfriedhof besuchen, wo Göttinger Studenten zum Ende ihres Studiums hin ihre alten Drahtesel entsorgen. Der Astronomenweg begleitet euch auf diesem Weg mit Modellen der Planeten im maßstabsgetreuen Abstand zur Sonne. Dort hat man einen schönen Ausblick über Göttingen.
Wer es hingegen am Wasser mag, wird in Göttingen nicht zu kurz kommen mit Leine und Kiessee, zwei Ruhepunkte zum Spazierengehen. Besonders der Kiessee ist beliebt bei Läufern. Wenn man so am Kiessee sitzt, könnte man fast meinen, man wäre an einem See in Schweden. Nur Baden sollte man im Kiessee eher nicht – dafür gibt es zahlreiche Freibäder in der Stadt.
DIE ALTSTADT
Mitten vor dem alten Rathaus steht das Wahrzeichen der Universitätsstadt: Die Gänselliesl. Was dabei erschreckend wenig Leute ist wissen, ist, dass diese Gänselliesl nicht die Einzige ihrer Art ist, denn auch andere Städte wie Stuttgart, Wien oder Hannover auf dem Steintorplatz. Will man die originale Gänselliesl aus dem Jahr 1901 besuchen, findet man diese im Städtischen Museum. Aber auch die aktuelle auf dem Platz zentral in der Innenstadt ist eine stark umworbene Persönlichkeit und gilt laut Göttinger Quellen als meist geküsste Frau der Welt. Beinahe täglich kann man erleben, wie ein frischer Doktor nach seiner Promotion zum Gänseliesl gefahren ist und die junge Frau küssen darf. Obwohl 1926 ein Kussverbot verlassen wurde, störte das die Studenten nicht weiter. Inzwischen wurde dieses Verbot auch wieder aufgehoben.
Wer ein Freund von Schauergeschichten ist und im Dezember Göttingen besucht, gebe ich den Geheimtipp: Im Theater im OP findet Jahr für Jahr “Die Gänsehaut-Liesl” statt, erzählt und gespielt von Götz Lautenbach, meinem ehemaligen Dozent für Szenisches Schreiben und Theaterarbeit an der Uni Göttingen, der auch inszeniert und momentan in mehreren Stücken im Jungen Theater zu sehen ist.
Zurück zur Innenstadt, denn direkt beim Alten Rathaus befindet sich auch der eher unauffälige, aber dennoch sehr spektakuläre Vierkirchenblick. Von Dort aus sieht man gleich vier der zahlreichen Kirchen, die über die gesamte Innenstadt verteilt sind. Unter anderem wäre da die St. Albani Kirche, die älteste Kirche der Stadt und die Jacobikirche, die einst den 10-Mark-Schein schmückte. Zu der St. Johanniskirche werden wir noch später in diesem Artikel kommen. Und zu guter letzt die vor einigen Jahren renovierte St. Michael, die einzige katholische Kirche innerhalb des Stadtwalls.
Ein optisches Highlight für diejenigen von euch auf Fotosafari ist die Paulinerstraße, eine gut erhaltene Fachwerkstraße, die insbesondere im Sommer mit blühenden Rosen einfach zauberhaft und wie aus einer anderen Zeit wirkt.
Ein schöner Ort zum Entspannen ist immer wieder der Chaltenham-Park am Rande zum Stadtwall. Dort rodeln nicht nur alle mit Begeisterung bei Schnee den Wall runer im WInter, sondern es ist auch ein schöner Ort, um mit Kindern auf den Spielplatz zu gehen oder in gemütlicher Atmosphäre zu picknicken oder gemeinsam zu grillen. Ich war auch zunächst skeptisch, da sich in einem Teil des Parks ein alter Friedhof befindet, wo man zwischen Grabsteinen picknickt, aber gerade diese Ecke ist besonders angenehm ruhig und kühl an schwülen und heißen Sommertagen.
Wer die Möglichkeit hat, die Aula der Universität bei einem Vortrag oder einfach so zu besuchen, sollte diese unbedingt nutzen! Der Innenhof ist wirklich klassisistisch schön wie ein kleiner Schlosspark und die Aula selbst und dessen Eingangshalle auch ein architektonischer Augenschmaus.
SCHÖNE AUSSICHTEN
Das Neue Rathaus am Hiroshimaplatz sieht zwar nicht so malerisch aus wie die Gebäude der Altstadt, aber von der Cafeteria kann man einen guten Ausblick erleben.
Ob es schön ist, ist umstritten, aber allemal sehenswert ist der Fahrradfriedhof am Göttinger Bahnhof, eine Ansammlung vieler, vieler Fahrräder, bei der manche auch bis zur nächsten Entsorgungsaktion dauergeparkt sind. Unter der Hand sagten manche in meiner Studienzeit zu mir: “Wenn du ein neues Fahrrad suchst, dann lass uns einfach eines vom Fahrradfriedhof holen.” Das habe ich natürlich nicht gemacht, allerdings gibt es natürlich regelmäßig Auktionen der gut erhaltenen Bahnhofsfahrräder, die nicht mehr von ihrem Besitzer abgeholt wurden.
Ebenso ist ein Turmgang samstagmittags um 12 Uhr auf die Johanniskirche sehr empfehlenswert, da der Ausblick der schönste über die Altstadt ist ist. Der Nordturm war früher der Wachturm und wurde ab 1921 als luftige Studentenbude genutzt. Die dortigen Bewohner durften mietfrei leben, aber mussten ihre kleine Bleibe regelmäßig öffentliche Bescher empfangen. Heutzutage ist in der ehemaligen Türmerwohnung eine kleine Kapelle, in der auch regelmäßig Hochzeiten und Taufen gefeiert werden.
Eine Göttinger Geschichte, die jeder darüber hinaus kennen sollte und vielleicht auch schon an so manchem Samstag live erlebt hat, ist der Turmbläser Marten Bock, der jeden Samstag um 11 Uhr ein kleines Konzert für die Stadt spielt.
BURG PLESSE
Eine kleine Fahrradtour oder nur 10 Minuten mit dem Auto entfernt liegt Burg Plesse. Nicht nur die Aussicht der Burg oder die Ruinen an sich sind schön, allgemein ist schon die Anfahrt raus aus Göttingen ein Event, wenn man der Burg, die man auch von der Autobahn in Richtung Hannover/Kassel aus sehen kann, immer näher kommt. Das beginnt schon mit den Serpentinen, in denen es die Straße hochgeht zu der Burgruine der einstigen Spornburg, die in 365 Metern Höhe liegt. Schon Goethe hatte diesen Ort im Jahre 1801 besucht, Neben zahlreichen kulturellen Veranstaltungen und Führungen findet man dort auch ein Restaurant.
Wem diese Burgruine nicht reicht: Auch die Reste der Heldenburg in Salzderhelden und Die Burg Hardenberg laden direkt in der Gegend zum Besuch ein.
ESSEN
Göttingen hat eine tolle Essenskultur und meine meiste Zeit habe ich dort tatsächlich damit verbracht, immer wieder neue Restaurants zu probieren. Eine Investion, die man sich leisten kann, ist das Gaudi. Als ich mal wirklich schlechte Laune hatte, hat mich eine Freundin spontan dorthin eingeladen und was soll ich sagen? Das Essen dort sucht wirklich Seinesgleichen.
Allerdings gibt es in Göttingen Essen für jedes Budget. Sehr beliebt ist seit Jahres das Nudelhaus, eine Institution für Nudelgerichte aller Art mit frisch gemachten Nudeln aus eigener Herstellung zu studentenfreundlichen Preisen. Besonders schön bei guten Wetter ist der Biergarten im Innenhof.
Veganer unter euch können günstig leckeres veganes Gebäck beim Weltladencafé finden. Auch ihre Preise für fair gehandelten Kaffee to go ist wirklich günstig und man hat freies und schnelles Wlan dort, kann Weltmusik hören und ebenfalls fair gehandelte Lebensmittel kaufen.
Wer Süßes mag, wird Cron und Lanz lieben. Die Konditorei mit Kaffeehausatmosphäre steht anderen Größen nichts nach und ist bekannt für ihre zahlreichen Tortenkreationen mit Baumkuchen. Neben diesen Leckereien findet man auch Pralinen oder Gänseliesl aus Schokolade als Souvenir für Daheimgebliebene.
Ein weiterer Geheimtipp ist das Monstercafé in der Goetheallee nahe des Bahnhofes. Dort bekommt man die kreativste heiße Schokolade der Stadt, die heiße Schokolade Kindergeburtstag. Es gäbe noch so viele geheime Orte und Insider, aber die würden jeglichen Rahmen hier sprengen.
NIGHTLIFE
Wer feiern geht, kommt aus allen Ecken Göttingens zusammen und trifft sich erst einmal zentral in der Stadt. Beliebte Treffpunkte sind Gänselliesl, besonders, wenn Weihnachtsmarkt ist. Aber auch der Willi, der Wilhelmsplatz oder der Nabel, der nicht weit entfernt ist, sind ebenfalls beliebte Treffpunkte.
Wer einmal richtig feiern gehen möchte, kommt an der Nautibar und seinen berühmten Tiefseetaucher Cocktail. Bei guten Wetter im Sommer ist der Innenhof von The Queen’s Head ein echt schöner Ort für laue Nächte mit Cider und feinen Whiskey. Und wer es lieber rustikal mag, findet im Trau ein Gewölbe im Keller mit uriger Atmosphäre, die für mich aber eher als Zwischenstopp dienst als als abendfüllende Location, da mit der Zeit einem die schlechte Luft nicht bekommt.
Berühmt-berüchtigt und nicht schick, aber fester Bestandteil sind zwei Hotspots im Norden und Süden der Innenstadt. Wem beim Feiern der Hunger überfällt, findet meist nichts zu Essen in kleinen Diskotheken wie dem Alpenmax, dem Exil oder der Tangente. Daher gibt es die Dönermeile, die gerade zwischen 1 Uhr und 5 Uhr besonders gut besucht ist. Im Süden hingegen gibt es das Deja Vu, dass meist erst auf macht, wenn andere kneipen schon schließen. Wer nach Schluss in der Disco noch weiterfeiern will, kann dort bis zum Brunch weitermachen.
DER CAMPUS
Über 31.000 Studenten sind aktuell allein an der Universität Göttingen und so ist das Stadtbild der viertgrößten Stadt Niedersachsens vom studentischen Leben geprägt.
Wer in Göttingen von der Uni aus Veranstaltungen besucht, kann auch allerlei entdecken, was einen verwundert oder vielleicht im Zweifelsfall weiterhilft.
Zu müde nach der letzten Partynacht oder einfach kaputt vom vielen Arbeiten in der Bibliothek? Im VG (Verfügungsgebäude) gleich hinter der SUB (Staats- und Uni gibt es einen Ruheraum mit Hängematten, Sitzsäcken, Liegen und Matratzen. Seinen Unirucksack und seine Schuhe kann man in Spinden einschließen.
Theo Cafete ist bekannt dafür, dass es dort immer vegane Leckereien gibt und einen schönen Innenhof im Sommer, wo man es meist nicht so überfüllt hat wie in Zentralmensa oder der Mensa am Turm. Allerdings ist die Mensa am Turm shon wirklich empfehlenswert, denn besonders im Sommer kann man dort draußen essen und leckere Gerichte genießen. In Göttingen gibt es eine große Auswahl und zumindest Turmmensa und Zentralmensa habe ich nie schlechte Erfahrungen mit dem Essen gemacht, in anderen Städten war das durchaus anders. Auch viele Externe, die nicht studieren oder an der Uni arbeiten, kommen mittags zu den Mensen, um dort in ihrer Mittagspause zu essen.
Ein kleines Highlight für jeden Kulturfan ist das Theater im OP, das Studentische Theater der Uni Göttingen. Wer hier studiert, kann sogar Studienleistung im Theater ablegen und Seminare zum Thema Bühnenkampf, Maske oder Szenisches Schreiben besuchen. Im alten Schauoperationssaal der ehemaligen chirurgischen Klinik gibt es nach dem En-suite-Prinzip 12 Premieren im Jahr. Somit gilt es als eines der größten Studententheatern in Europa.
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