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Gestern stand ich beim Einkaufen wieder in der langsamsten Schlange an der Kasse, als ich das Plakat entdeckte: 10-Tage-Rundreise Japan 1799€ – las ich da beim Discounters mit dem großen A.
Beim bekannten Kaffee-Unternehmen etwas später dann ein ähnliches Angebot:
9-Tage Japanreise für 1799€.
Mit deutscher Reisebegleitung, inkl. Flug, Frühstück, Stadtbesichtigungen und Eintrittspreise. Unterkunft in einem Mittelklassehotel…
Japan – bald das neue Mallorca der Deutschen?
In Tokyo haben die ersten deutschen Bäckereien eröffnet, auf Hokkaido braut man bereits Bier nach demdeutschen Reinheitsgebot und schon jetzt kann jeder Japaner ein paar Brocken Deutsch: Dankescheen, Isch libe disch, Prost, …
„Wird Japan jetzt das neue Mallorca der Deutschen?“ ging es mir für eine Sekunde durch den Kopf.
Eher nicht, denn Japan ist auch unter den Pauschalangeboten immer noch ein Exot.
Es ist kein einfaches Land, kein Wetter-ist-immer-gut-Land und kein Schnitzel-mit-Pommes-Land. Das Land der aufgehenden Sonne ist kein Zwei-Wochen-am-Strand-rumhängen-und-Liegestuhl-reservieren-Land und auch kein Sorry-I-speak-no-english-can-you-please-speak-in-german-?-Land.
Eine Japanreise bleibt eine Herausforderung: sprachlich, kulinarisch und kulturell. Da ist vieles anders als gewöhnlich.
Aber egal, ob du auf eigene Faust das Land erkundest oder auf einer geführten Gruppenreise bist: eines ist im Preis immer inklusive: Der Kulturschock!
Du kannst dich wundern, es so hinnehmen, daran verzweifeln, belächeln, einfach daraus lernen oder dich darüber freuen.
Mich bringt der Kulturschock immer aus meinem gewohnten Konzept. Das löst bei mir oft Verunsicherung, Verwirrung und Stress aus, gehört aber irgendwie mit dazu und macht die Japanreise erst komplett. Und dann gibt es ja auch noch die ganz angenehmen „Kulturschocker“.
1. Tokyo – die Mega Metropole
Ich bin bestimmt schon über 20 mal in Tokyo gewesen und jedes Mal erschlägt es mich wieder.
Die Stadt hat es in sich.
So viele Menschen, so viele Lichter der Leuchtreklamen, überall blinkt es und überall ungewöhnliche Geräusche – alles macht Musik. Wohin gehen? Wo stehen, ohne jemandem im Weg zu sein? Wo soll ich anfangen mit meiner Entdeckungsreise?
Ich stehe an der weltbekannten Kreuzung in Shibuya, als plötzlich alle Fußgänger-Ampeln gleichzeitig auf Grün springen. Alle laufen los. Es geht nach links, es geht nach rechts es geht quer über die Straße. Ich bleibe stehen und wundere mich, dass sich die Leute nicht gegenseitig über den Haufen rennen. Wo hat man das gelernt? In der Schule? Oder gibt es dafür spezielle Kurse?
Bei der nächsten Grünphase will ich es wissen und laufe einfach los. Laufe mit in der Masse und lasse mich mit dem Strom treiben. Und es funktioniert ganz gut. So funktioniert also Tokyo.
Meine Tipps:
1
Kurz wundern und dann viel Spaß haben beim Eintauchen in die Stadt.
2
Einen Plan für den Tag, aber nicht zu voll gepackt. Es muss Zeit für eigene Entdeckungen geben.
3
Einfach nur durch die Gegend laufen. Fotomotive gibt es an jeder Ecke. Was da am Ende auf der Speicherkarte der Kamera ist, kannst du mit den Motiven vergleichen, die ich vor einiger Zeit in einem Artikel zusammengefasst habe – Die Top 5 der Japanmotive.
4
Zum Erholen geht’s in ein nettes ruhiges Café und ganz nebenbei schau ich mir an, was die Japanerinnen und Japaner gerade so tragen. Denn die Modetrends in Tokyo kommen oft erst in 1-2 Jahren zu uns nach Deutschland.
2. Schrift und Sprache
Plötzlich ist alles wieder wie früher, als ich noch nicht lesen und schreiben konnte.
Schilder mit unbekannten Zeichen und ich kann nicht mal ahnen, hinter welcher Tür sich die Frauentoilette verbirgt. Speisekarten im Restaurant, Ticketautomaten am Bahnhof, Fernbedienung für die Klimaanlage im Hotel, Toiletten (auch die haben oft Fernbedienungen), Straßenschilder, … Alles wunderschön beschriftet, nur leider kann ich mit den Zeichen nicht viel anfangen.
Und was verbirgt sich bloß hinter all den Lebensmitteln und Verpackungen? Einfach nur Milch zu besorgen, wird für mich zu einem großen Abenteuer.
Wenn man nichts lesen kann, hilft nur noch fragen. Denkste.
Klar lernen Japaner alle Englisch in der Schule, aber das heißt noch lange nicht, dass sie mich verstehen. Und wenn sie doch verstehen und sogar antworten, dann heißt das noch lange nicht, dass ich sie auch verstehst. Der japanische Akzent ist (wie unser deutscher) etwas gewöhnungsbedürftig.
Beli gutto ist Englisch und bedeutet very good
Zank ju beri matchi ist tatsächlich auch Englisch für Thank you very much!
Meine Tipps:
1
Die wichtigsten Japanischen Ausdrücke einfach auswendig lernen (LINK: http://nipponinsider.de/nuetzliche-ausdruecke-1/).
2
Beim Englisch sprechen gilt es, immer viel zu lächeln und deinen japanischen Gesprächspartner zu loben, wie gut das Englisch ist.
3
Wichtig Adressen und Wörter wie „Toilette“ oder Fragen wie „Wie teuer ist das?“, „Ist da Fleisch drin?“, „Ist das mit Erdnüssen?“ habe ich mir in ein kleines Notizbuch schreiben lassen. Und zwar auf Japanisch, mit japanischen Schriftzeichen. Ein Satz auf eine Seite. Und im Notfall einfach gezeigt.
4
Ich nutzte die Gelegenheit, als ich Japaner traf, die hervorragend Englisch sprachen (ja, die gibt es auch!). Da konnte ich alle Fragen loswerden und mein Notizbuch mit sinnvollen Japanischen Ausdrücken weiter ergänzen.
3. Fisch zum Frühstück
Nicht umsonst bin ich nach Japan gereist.
Ich will das volle Paket: Ein japanisches Hotelzimmer (Ein Futon auf dem Tatamiboden) und natürlich japanisches Frühstück. Das Japanische Essen soll ja auch unheimlich gesund sein.
Ist es auch: Reis, eingelegtes Gemüse, Suppe, Ei und gegrillter Lachs.
Bei mir hat es anfangs etwas gedauert, bis ich mich und meinen Magen an das japanisches Frühstück gewöhnt hatte. Und obwohl es lecker ist, schreit mein deutscher Magen von Zeit zu Zeit nach einem Brötchen. Das darf dann aber gerne mit geräuchertem Lachs belegt sein.
Meine Tipps:
1
Japanisches Frühstück unbedingt probieren.
2
Auch unbedingt Natto* probieren. Dazu musste ich mir zeigen lassen, wie man es isst. Und als ich erwähnte, dass es mein erstes Mal sei, kamen alle zusammen um mir dabei zuzusehen.
Aufgegessen habe ich es am Ende nicht. Ich konnte nicht. Es schmeckte mir einfach nicht, auch wenn es noch so gesund ist. Aber es war am Ende nicht schlimm, das nicht zu essen. Allein schon das Probieren hat mir große Bewunderung entgegengebracht.
*Natto – besteht aus gegorene Sojabohnen mit sehr spezieller Konsistenz und sehr speziellem Geruch.
4. Allein unter Anzugträgern
„Was wird den hier heute gefeiert?“, ging mir beim Anblick der vielen Anzugträger in der U-Bahn durch den Kopf. „Oder gehen die alle auf eine Hochzeit?“ In Japan ist der Anzug mit Krawatte nichts Besonderes, sondern tägliche Arbeitsbekleidung. Frauen sieht man oft in Kostümen in gedeckten Farben.
Da falle ich dann mit meinem bequemen Reise-Outfit und dem bunten Rucksack schon auf.
Was mich anfangs sehr verunsichert hat, waren die Blicke der Japanerinnen und Japaner. „Die starren mich alle an!“ habe ich immerzu gedacht. Noch nie war mir mein Äußeres so bewusst, wie in Japan. Ich sehe halt eindeutig nicht japanisch aus mit meinen braunen Locken, der spitzen Nase und der braunen Augen. Eigentlich ganz normal. In Japan falle ich allerdings auf. Daran musste ich mich erst gewöhnen.
Gott sei Dank bin ich nur 160 cm klein und wenigstens in diesem Punkt mit der japanischen Masse konform.
Mein Tipp:
Wenn mich jemand anstarrt, lächele ich und grüße freundlich. Oft hat sich daraus ein nettes Gespräch ergeben.
5. Die Bahn, die immer pünktlich kam
Ein Kulturschock der angenehmen Art war das Bahnfahren in Japan.
In meine Welt vom Bahnfahren gehört das Warten auf verspätete Züge, Zugausfälle wegen defekter Klimaanlagen oder verpasste Anschlusszüge. Ich dachte immer, das muss so sein und gehört zum „Erlebnis Bahnfahren“ dazu.
Wikipedia sagt dazu ähnliches: “…Im Bereich der Deutschen Bahn AG gilt ein Zug als pünktlich, wenn er bis 5 Minuten und 59 Sekunden nach der im Fahrplan vorgesehenen Zeit eintrifft bzw. abfährt…” (LINK:https://de.wikipedia.org/wiki/P%C3%BCnktlichkeit_(Bahn))
Angenehm überrascht war ich daher von der japanischen Pünktlichkeit der Züge.
Ok, die Shinkansen, die Schnellzüge in Japan, haben ein eigenes Liniennetz und können ungehindert fahren. Bei einem Erdbeben bleiben sie unverzüglich stehen.
Deshalb liegt die durchschnittliche Verspätungsdauer pro Jahr auch bei etwa einer Minute!!!
6. In der Schlange stehen
Auch habe ich nicht schlecht gestaunt, als ich die Menschen am Bahnsteig habe warten sehen. Schön in der Reihe an den vorgesehenen Punkten haben sie gestanden. Dass der Zug mit den Türen exakt an diesen Punkten hielt, hat mich dann nochmal in Staunen versetzt. Als sich die Türen öffneten, bildeten sich Gänge für alle, die aussteigen wollten, anschließend ging es gesittet hinein in den Zug.
Das funktionierte auch an den vollen U-Bahnhöfen in Tokyo ganz hervorragend.
Ich würde das gerne in Berlin einführen.
Und wenn ich schon dabei bin, auch gleich das japanische System beim Warten an der Kasse im Supermarkt:
Macht in Japan eine neue Kasse auf, weil die Warteschlange zu lang geworden ist – sprich: mehr als 3 Kunden warten müssen – dann wird der erste wartende Kunde aus der „langen Schlange“ gebeten, zur freien Kasse zu wechseln. Ein Kunde von ganz hinten käme nie auf die Idee, an allen, die bereits warten vorbei an die neu geöffnete Kasse zu gehen!!!
Das System ist eigentlich ganz einfach, gerecht und … warum funktioniert das hier in Deutschland eigentlich nicht?
Das alles ging mir durch den Kopf, als ich gestern beim Discounter an der Kasse stand.
Als ich beim Bezahlen meiner Einkäufe war, sah ich aus dem Augenwinkel, wie sich an der noch geschlossenen Kasse 1 eine neue Schlange bildete.
Ich lächelte den Verkäufer an, wies mit einem Kopfnicken auf das Plakat mit dem Japan-Angebot und frage „Waren Sie eigentlich schon mal in einem japanischen Supermarkt?“
Kulturschock Land Japan 🙂
2 Comments
Wunderschöner Artikel. Japan ist einzigartige und muss man auf sich wirken lassen. 🙂
Viele Grüße aus Tokio
Tessa
Ja Tessa, da hast du recht. Am besten hineinstürzen und wirken lassen.