Mittwoch, 25 Dezember, 2024

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Wer mich kennt, weiß, dass ich kein “Wander-Typ” bin. Ich denke, dass ich in diesem Leben auch nicht auf den Geschmack kommen werde. Jetzt wird der eine oder andere die Hände über den Kopf zusammenschlagen und sich seinen Teil denken. Aber… so bin ich nunmal. 🙂

Aus diesem Grund freue ich mich umso mehr, diesen tollen Bericht von Jana zu veröffentlichen! Sie wird uns im Oktober auch noch mit einem weiteren Artikel erfreuen.

Wirklich beeindruckend!!

Zu Fuss unterwegs im Schweizer Nationalpark

Es ist früher Morgen. Ein herbstlich kalter Morgen in den Engadiner Bergen. Jetzt, im September, spürt man bereits ganz früh am Tag, dass sich der Bergsommer langsam dem Ende neigt. Die Nächte sind kalt. Auf den Pflanzen bildet sich Raureif.

Leicht fröstelnd wandern wir los. Es ist nicht mehr dunkel, aber auch noch nicht taghell. Die Sonne versteckt sich noch eine Weile hinter den Bergen. Aber wir wissen, dass wir der Sonne entgegen wandern. Dass sie uns bald mit ihren wärmenden Sonnenstrahlen erreichen wird.

Angenehm ansteigend, Kehre um Kehre, zieht sich der Weg durch den Lärchenwald hinauf. Die Temperaturen sind so niedrig, dass unser Atem beim Ausatmen gefriert und Dampfschwaden bildet. Mit zunehmender Höhe wird der Wald lichter, die Bäume kleiner, bis sie uns nur noch vereinzelt begleiten. Wir bemerken, wie die Wolken von weit unten aus dem Tal nach oben ziehen und langsam, sehr langsam, über die umliegenden Berge hinwegschweben. Wir wandern jetzt über den Wolken. Es ist eine mystische Stimmung, die durch die natürliche Stille um uns herum noch verstärkt wird.

Nur vereinzelt hören wir noch das Röhren der Hirsche, welches uns bereits die gesamte Nacht begleitet hat. Langsam werden sie von den Anstrengungen der letzten Nacht müde und ziehen sich zum Ausruhen in den dichten Wald zurück. Dennoch hoffen wir heute auf viele Tierbeobachtungen. Der Murtersattel, zu dem wir in gleichmässige Tempo unsere Bahnen hinaufziehen, ist bekannt für die vielen Tiere, die sich dort oben tummeln, sonnen und grasen.
Schon nach einer halben Stunde entdecken wir die erste Hirschkuh, die, von unseren leisen Schritten aufgeschreckt, quer über einen Hang davonläuft. Nicht ohne sich noch einmal umzudrehen und zu schauen, wer ihre Morgenruhe gerade gestört hat. Wenig später lassen wir den Lärchenwald vollständig hinter uns und treten nach einer Felsstufe hinaus auf die riesige Freifläche des Murtersattels.

Wir kommen aus dem Staunen, Freuen, Entdecken und Beobachten gar nicht mehr heraus! Mit jeder Serpentine, die wir nach oben steigen und der Sonne näher kommen, sehen wir weitere Tiere. Gämsen, Murmeltiere, Bartgeier, Eichhörnchen und zum Abschluss sogar eine Gruppe Steinböcke. Sie alle grasen friedlich und ungestört in den Hängen des 2500 Meter hohen Bergsattels. Wir nehmen uns die Zeit, die stoischen und erhabenen Steinböcke, die lebendigen Murmeltiere und auch die etwas scheuen Gämsen zu beobachten.

Das frühe Aufstehen hat sich gelohnt! Wir geniessen den Moment auf dem Sattel in dieser nahezu ungestörten Wildnis. Während wir pausieren, begreifen wir, welch’ grosses Glück uns beschieden ist, diese Wildtiere so friedlich aus der Nähe beobachten zu können – und dann so viele auf einmal!

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Drei Tage später…

Ein weiterer strahlend schöner Herbsttag. Die umliegenden, markant aufragenden Berge, wirken unter dem wolkenlosen blauen Himmel noch eindrucksvoller. Wir haben den Schweizer Nationalpark durchwandert und sind am anderen Ende des Schutzgebietes angekommen. Noch zwei Stunden Wegzeit liegen vor uns, um unsere Unterkunft zu erreichen, die leicht ausserhalb des eigentlichen Parks liegt.

Freudig schreiten wir voran, als unser Blick auf zwei Menschen trifft, die uns entgegenkommen. Zuerst halten wir sie ebenfalls für Wanderer, tragen sie doch grosse Rucksäcke. Dennoch: irgendetwas scheint anders zu sein. Die Haltung des einen der beiden wirkt merkwürdig. Als sie näher kommen, sind wir geschockt. Er trägt eine tote Gämse auf seinen Schultern. Es sind also keine Wanderer, es sind Jäger. Ausserhalb des Nationalparks ist jetzt Jagdzeit – und die Jagd hat eine lange Tradition im Kanton Graubünden.

Ein Tier auf einer menschlichen Schulter erlegt zu sehen, dessen Artgenossen wir ein paar Tage zuvor noch ungestört grasend beobachten durften, geht nicht spurlos an uns vorbei. Wir bleiben für eine Weile sprachlos zurück. Jeder hängt für den Moment seinen Gedanken nach. Muss und möchte diesen Eindruck verarbeiten.

Was für ein markanter Gegensatz, den wir innerhalb dieser wenigen Tage erlebt haben. Gefangen zwischen natürlicher Wildnis und menschlichen Traditionen …

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Der Schweizer Nationalpark – über 100 Jahre Naturschutz

Die Schweiz ist ein Land mit einer grandiosen Landschaft. Berge, Seen und unendlich viel Grün warten darauf, in diesem so abwechslungsreichen Land entdeckt zu werden.

Da verwundert es fast, dass die Schweiz bisher nur diesen einen einzigen Nationalpark hat. Den Schweizer Nationalpark. Der hat es dafür geschichtlich gleich in sich: es ist der älteste Nationalpark in den Alpen, gelegen im Unterengadin, östlich vom berühmten St. Moritz, im Süden an den italienischen Nationalpark Stilfser Joch grenzend.

Gegründet vor bereits über 100 Jahren hat das Schutzgebiet sehr unterschiedliche Gesichter. Neben ausgedehnten Wäldern, vor allem stimmungsvollen Lärchenwäldern, bietet der Park dem Besucher hochgelegene alpine Wiesen sowie auch eine sehr schroffe Berglandschaft, die sich gebietsweise auch in eine steinige Mondlandschaft verwandelt. Auch Gipfelstürmer kommen voll auf ihre Kosten, warten doch Gipfel bis zu 3000 Metern Höhe auf ihre Eroberung.

Der kleine Hauptort Zernez, auf fast 1500 Metern gelegen, ist der ideale Ausgangspunkt für Wanderungen und Exkursionen in das umliegende Parkgebiet.

 

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Die 3 besten Tipps, den Schweizer Nationalpark intensiv zu erleben

Der Schweizer Nationalpark ist ein El Dorado für alle Naturliebhaber, leidenschaftlichen Wanderer, Bergfreunde, Tierbeobachter, Vogelfreunde und Pflanzenkundler. Oder einfach auch für Menschen, die gerne einmal wieder das Gefühl echter Wildnis erleben möchten. Im Winter zum Schutz der Tiere gesperrt, bietet er in den drei grünen Jahreszeiten jederzeit etwas Besonderes.

Aus eigener jahrelanger Erfahrung gebe ich dir meine drei besten Tipps mit, um den Nationalpark intensiv und von seiner schönsten Seite zu erleben:

1. Die schönste Zeit des Jahres im Park ist der beginnende Herbst im September!

Dann, wenn die ersten Blätter bunt werden, die Pilze spriessen, die Lärchen beginnen, sich goldgelb zu färben, das Wetter für ausgedehnte Wanderungen nicht mehr ganz so heiss ist wie im Hochsommer – und vor allem die Brunftzeit der Hirsche das Geschehen weithin bestimmt.

Ungefähr Mitte September beginnen die Rangkämpfe der Hirsche, bei denen sie nicht nur um die paarungsbereiten Hirschkühe kämpfen, sondern auch ihr Revier verteidigen. Es gibt sehr viele Hirsche im Park. Es wäre fast ein Kunststück, wenn du es im September nicht schaffst, die Hirschbrunft selbst beobachten zu können.

2. Übernachte inmitten des Nationalparks!

Es gibt zwei Möglichkeiten, im Herzen des Nationalparks zu übernachten. Wer es rustikal mag, dem sei eine Wanderung zur Chamanna Cluozza empfohlen, die nur zu Fuss zu erreichen ist. Umgeben von wilder Natur ist das Erlebnis Nationalpark hier am intensivsten.

Alternativ bietet sich eine Möglichkeit im Hotel Il Fuorn an, welches ebenfalls über eine ausgezeichnete Küche verfügt. Das Besondere hierbei ist, dass die Hirsche während der Brunftzeit bis auf die Wiesen, die um das Hotel herum liegen, herunterkommen. Es ist ein ganz einmalig eindrückliches Erlebnis, wenn du in deinem Bett liegst und unter deinem Fenster buhlt ein Rothirsch um die Gunst seiner Hirschkühe.

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3. Der frühe Vogel fängt den Wurm!

Wie bei so vielen Naturerlebnissen gilt auch hier: je früher du unterwegs bist, desto besser. Zum einen erhältst du dir so die Chance auf ungestörte Tierbeobachtungen, weil die meisten anderen Menschen erst nach dir kommen. Zum anderen ist am frühen Morgen (oder in der Dämmerung) die Chance am grössten, überhaupt Tiere zu sehen. Am Tag selbst ziehen sich die Tiere meist zurück, weil dann das menschliche Treiben am grössten ist. An das Fernglas für die Tierbeobachtungen denken!

Das Bild des Jägers mit seiner erlegten Gämse, die mit dem letzten Gruss des Jägers geschmückt war, hinter uns lassend, wandern wir an unserem letzten Tag das wildreiche Val Mingér hinauf – und werden verabschiedet mit einem letzten vielstimmigen Röhren der Hirsche.

Sie scheinen uns zuzurufen: „Kommt wieder! Wir fühlen uns hier sicher und wohl. Helft uns, unseren Lebensraum zu schützen.“

 

Zu Jana:

Jana Wessendorf ist Naturliebhaber, Wandermensch, Blogger und ein

kleiner Schokoladenfan. Nach einigen Jahren Dauerlauf im

Karriere-Hamsterrad ist sie nun zu Fuss unterwegs. Sie setzt sie sich

erfolgreich für die Wiederentdeckung der Langsamkeit ein: im Alltag,

in der Natur, beim Wandern und auf Reisen.

Abmarschbereit: Guide Evgenij, Jana, Birgit, Jez fehlt auf dem Bild

Abmarschbereit: Jana,

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